Diplom-Psychologin & Psychotherapeutin Carola Storm-Knirsch, Wilhelmshöher Str. 24, 12161 Berlin (Friedenau), Tel.: 030 - 851 37 88, Mobil 0151 - 27 03 69 69 (neu), Fax 852 07 72, storm-knirsch@t-online.de, www.storm-knirsch.de

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Artikel aus dem PSYCHOTHERAPIE FORUM, Suppl. 2/04, Springer Verlag

Carola Storm-Knirsch, Psychotherapeutin, Berlin

Überzählige Psychotherapeuten müssen doch tot zu kriegen sein!*

Einige bissige Bemerkungen zur Auslegung des Psychotherapeutengesetzes durch Zulassungs- und Berufungsausschüsse sowie die Sozialgerichtsbarkeit und „das Bundesverfassungsgericht"

Nach langem und zähem Ringen ist im Sommer 1998 nach 20-jährigem Kampf das Psychotherapeutengesetz (PsychThG, BGBl. I S. 1311) vom Bundestag unter der christlich-liberalen Regierung verabschiedet worden. Zu diesem Zeitpunkt traten bereits bestimmte Teile des Gesetzes in Kraft, wohingegen es in seinen berufsrechtlichen und sozialrechtlichen Schwerpunkten erst am 01. Januar 1999 geltendes Recht wurde.

Am 25. Juni 1997 war das Gesetz in den Bundestag eingebracht worden und wurde bis zu seiner Verabschiedung noch geringfügig korrigiert.

Die Integration der Psychotherapeuten in das System des Kassenarztrechts löste viele Widerstände aus, vor allem auf Seiten der etwa 110 000 Ärzte, die um ihre „Geldtöpfe" fürchteten. Etwa 30.000 Psychotherapeuten sollten approbiert werden. Später wurden etwa 13.000 in das Kassenarztsystem integriert. Die stellen heute die drittstärkste Facharztgruppe dar.

Ferner befürchtete man, dass die Psychotherapeuten alle in Berlin oder an anderen wunderschönen Orten, an denen sie bislang niedergelassen waren bzw. an die sie sich vor dem 31. Dezember 1998 hätten begeben können, eine bedarfsunabhängige Kassenzulassung oder Ermächtigung beantragen könnten, so dass hier - im Widerspruch zu dem für Ärzte bereits seit 1993 eingeführten Bedarfsregelungssystem – sodann, gemessen an der Bevölkerungszahl, „zu viele" Psychotherapeuten vorhanden sein würden, und andere Regionen auf dem platten Land unterversorgt bleiben könnten.

Dieser Gedanke ist im Prinzip nicht abzulehnen. Es ist nur die Frage, wie man das Problem der Unterversorgung in ländlichen Gebieten, und das der angeblichen Überversorgung in Ballungsgebieten, wie z. B. Berlin, zu lösen gedenkt und ob hierbei Gesetz und Verfassung und nicht zuletzt Europa-Recht in Bezug auf das Grundrecht der freien Berufsausübung des Psychotherapeuten beachtet werden.

Der Gesetzgeber bestimmte im sozialrechtlichen Teil, dass eine bedarfsunabhängige Zulassung bzw. Ermächtigung an seinem bisherigen oder gewünschten Praxissitz erhalten könne, wer bereits vor der Einbringung des Gesetzes in den Bundestag, also vor dem 25. Juni 1997, an der Versorgung der gesetzlich Versicherten teilgenommen hat, also eine Stichtagsregelung.

Weil der Gesetzgeber befürchtete, dass die Zahl der Antragsteller auf eine bedarfsunabhängige Zulassung/Ermächtigung „zu groß" sein könnte, also eine „Psychotherapeuten-Schwemme" verhindert werden sollte, führte er ein zweites Stichtagsdatum ein, nämlich den 25. Juni 1994.

Das bedeutete, dass nur diejenigen Psychotherapeuten, die innerhalb dieses Dreijahreszeitraums an der Versorgung der gesetzlich Versicherten teilgenommen hatten, bedarfsunabhängig eine Kassenzulassung bzw. Ermächtigung, über die sie sodann ihre Behandlungen nach dem 01.01.1999 mit den gesetzlichen Krankenkassen hätten abrechnen können, erhalten würden.

Etwa 90 % der Bevölkerung sind in gesetzlichen Krankenkassen versichert, so dass eine freiberufliche Existenz ohne eine derartige Zulassung als Vertragsbehandler der Kassenärztlichen Vereinigung nicht realisierbar ist.

Im Gegensatz zu den Ärzten, die sich in der Regel tatsächlich erst im Anschluss an eine Angestelltentätigkeit in einer Klinik auf den Markt begeben und hier einen Start in eine freiberufliche Existenz wagen, waren viele Psychotherapeuten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des PsychThG bereits seit vielen Jahren an ihren Praxissitzen tätig, dieses entweder im sog. „Delegationsverfahren", wonach ein Arzt einem Psychologen den Behandlungsauftrag des Patienten „delegierte", was eigentlich unzulässig ist, weil der Arzt die Leistung stets persönlich zu erbringen hat, und der dem Psychologen seinen Honoraranspruch gegen die Kassenärztliche Vereinigung abtrat, so dass der Psychologe direkt mit der KV abrechnen konnte.

Die zweite große Gruppe der psychologischen Behandler, die etwa 50 % der psychotherapeutischen Leistungen bis Ende 1998 erbrachten, waren die sog. „Kostenerstattungspsychotherapeuten". Hier beantragte der Patient bzw. der Psychotherapeut für ihn die Erstattung oder auch Übernahme der Behandlungskosten direkt bei dessen Krankenkasse, und der Versicherte trat seine Forderung gegen die Kasse in der Regeln an den Psychotherapeuten ab, so dass dem sein Honorar direkt von der Krankenkasse bezahlt werden konnte.

In der Bundestagsdrucksache 13/9212 präzisierte der Gesetzgeber, was er unter der „Teilnahme" in diesem Dreijahreszeitraum, der auch als sog. „Zeitfenster" bezeichnet wird, verstehen will (S. 40):

„Eine bedarfsunabhängige Zulassung erhalten allerdings nur diejenigen Psychotherapeuten, die ... in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis 24. Juni 1997 bereits an der ambulanten Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung im Delegationsverfahren oder im Wege der Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V teilgenommen haben, wobei diese Teilnahme nicht für den gesamten Zeitraum verlangt wird. Gemeint sind die Leistungserbringer, die in der Vergangenheit in niedergelassener Praxis an der psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten teilgenommen, unter anderem daraus ihr Erwerbseinkommen erzielt haben und für die es deshalb eine unbillige Härte darstellte, wenn sie nach Inkrafttreten des Gesetzes nur noch bedarfsabhängig an der Versorgung der Versicherten teilnehmen, d. h. sich nur in nicht gesperrten Bezirken niederlassen dürften", also als bereits Niedergelassene ab etwa Mai 1999 in einen nicht gesperrten Bezirk umziehen müssten.

Und weiter heißt es – dieser Absatz wird in der Regel „übersehen" - : „Im Gegensatz dazu ist es gerechtfertigt, den Personenkreis, der erst nach dem 24. Juni 1997, dem Tag der Einbringung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag, an der ambulanten Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen hat, auf die - bedarfsabhängige - Niederlassung in nicht gesperrten Planungsbereichen zu verweisen."

Dieser zweite Absatz, aus dem sich eindeutig eine vom Gesetzgeber gewollte Stichtagsregelung ablesen lässt, gefiel der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nicht, so dass ihr Justiziar SCHIRMER am 18. August 1998, kurz nach der Verabschiedung des Gesetzes, ein Papier vorlegte, in dem er eine sehr eigenwillige Interpretation des sog. „Zeitfensters" darbot: „teilgenommen" habe nach der Auffassung der KBV nur derjenige Psychotherapeut, dessen Praxis im „Zeitfenster" mindestens sechs bis 12 Monate bestanden habe, der eigenverantwortlich mit gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet habe und der diesbezüglich einen Mindestumfang an 250 von gesetzlichen Krankenkassen finanzierten Behandlungsstunden nachweisen könne. Wie er gerade auf 250 Behandlungsstunden kam, ist bis heute ein Rätsel.

Aus der Forderung von „250 Stunden in sechs bis 12 Monaten" ergibt sich ein Wochendurchschnitt von 11,6 bis 5,8 Behandlungsstunden pro Woche.

Durch diese Vorgaben sollte die Anzahl der als Vertragspsychotherapeuten bedarfsunabhängig zuzulassenden bzw. zu ermächtigenden Kollegen noch einmal reduziert werden.

Um es kurz zu machen: Zwar verlangten beinahe alle angeblich „unabhängigen" Zulassungs- und Berufungsausschüsse bei den Kassenärztlichen Vereinigungen in der Bundesrepublik das von der KBV verlangte bzw. von etlichen KVen auch geringeres Stundenkontingent (in Berlin wurden „freundlicherweise" 250 h im gesamten Dreijahreszeitraum verlangt, im Land Brandenburg hingegen sogar 1.000 h!), jedoch die Sozialgerichtsbarkeit unterstützte dieses - zunächst! - nicht, so dass viele Kollegen mit deutlich geringeren Nachweisen von abgerechneten Behandlungsstunden im „Zeitfenster" von den Sozialgerichten quasi „durchgewunken" wurden, so z. B. in Berlin, wo das Landessozialgericht am 22. September 1999 entschied, der Gesetzgeber habe das sog. „Zeitfenster" nicht quantifiziert, so dass es nicht zulässig sei, hier eine Mindestbehandlungsstundenzahl vom Antragsteller für eine bedarfsunabhängige Zulassung bzw. Ermächtigung zu verlangen. Die Entscheidung folgte dem Leitsatz:

Eine bestimmte Stundenzahl ist für die Teilnahme an der psychotherapeutischen Versorgung nicht erforderlich. Es reicht auch ein geringer Tätigkeitsumfang, der vom Willen der Teilnahme an der Versorgung getragen ist." (L 7 B 16/99 KA ER)

Nach diesem Beschluss des LSG Berlin wurden vom Berufungsausschuss bei der KV Berlin, die ohnehin nur den Nachweis von 250 Behandlungsstunden im gesamten Dreijahreszeitraum in beliebiger Konzentration verlangte (s. o.), auch Antragsteller mit nur 100 Stunden im „Zeitfenster" bedarfsunabhängig zugelassen bzw. ermächtigt.

Der Gesetzgeber hatte gewollt, dass die Zulassungsverfahren Ende April 1999 abgeschlossen sind. In Artikel 2, Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, 11., heißt es: „Der Zulassungsausschuss hat über die Zulassungsanträge bis zum 30. April 1999 zu entscheiden." Auch hieraus ist ersichtlich, dass er sich die Anwendung des Gesetzes und die Interpretation seiner Bestimmung über die „Teilnahme" im „Zeitfenster" unkompliziert - quasi im Ja-Nein-Verfahren - vorgestellt hatte.

Trotzdem gab es einige Bundesländer, in denen sich - wegen „überzähliger" Psychotherapeuten - das Zulassungsverfahren rechtswidrig in die Länge zog und „gerechnet" wurde, ob der Antragsteller denn auch „genug" Behandlungsstunden im „Zeitfenster" nachweisen könne. Die Verfasserin scheiterte im Juni 1999 in Berlin wegen fehlender fünf Behandlungsstunden.

Inzwischen hatte am 01. Oktober 1999, wie ebenfalls vom Gesetzgeber vorgesehen, die sog. „Bedarfsplanung" begonnen, und hierbei stützte man sich auch auf die inzwischen zugelassenen Psychotherapeuten. Rasch wurde z. B. in Berlin festgestellt, dass viele Bezirke „überversorgt" waren, d. h. dass hier proportional zur Bevölkerung „zu viele" Psychotherapeuten praktizierten; überhaupt war man der Meinung, ganz Berlin sei bereits „überversorgt". Von „Überversorgung" spricht die Kassenärztliche Vereinigung dann, wenn es Vertragsbehandler gibt, die freie Plätze für Psychotherapie zur Verfügung stellen können, also nicht ganz ausgelastet sind. Im Übrigen ist ganz Berlin inzwischen seit dem 01. Juni 2003 „gesperrt".

Was also tun?

Die KV teilte im Oktober 1999 der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales und den Berliner Sozialgerichten mit, dass man in Berlin inzwischen „genug" Psychotherapeuten habe und dass, bitte sehr, nur noch bedarfsabhängige Zulassungen zu vergeben seien. An die Ermächtigungen dachte man hierbei wohl jedoch nicht - dazu weiter unten.

Also änderte das Landessozialgericht Berlin seine Rechtsmeinung vom 22. September 1999 ab in die Ansicht, dass die von der KBV geforderte 250-Stundenregelung gar nicht so dumm sei und „präzisierte" sie dahin gehend, man wolle 250 Behandlungsstunden zu Lasten von gesetzlichen Krankenkassen in einem Zeitraum von 12 Monaten nachgewiesen sehen, andernfalls „ein rechtlich beachtlicher Besitzstand" – der vom Gesetzgeber nicht verlangt wird - nicht erworben worden sei.

Wenn also der Antragsteller tatsächlich die ganzen drei Jahre an der Versorgung der gesetzlich Versicherten teilgenommen hatte, so sollte er hier einen Umfang von insgesamt 750 h nachweisen! Zu diesem Ergebnis gelangte das Berliner Landessozialgericht am 09. Mai 2000 (L 7 B 19/00 GA ER), also mehr als ein Jahr, nachdem das Zulassungsverfahren längst abgeschlossen sein sollte!

Dem Berliner Landessozialgericht fiel hierbei offensichtlich nicht auf, dass es vom Antragsteller hierdurch mehr Stunden verlangte, als vom Gesetzgeber, der eine ganze Reihe von quantitativen Vorgaben für die berufsrechtliche und sozialrechtliche Zulassung gesetzt hatte, z. B. für die sog. „Sockelqualifikation" gefordert werden.

Derjenige Antragsteller, der die Approbation in einem sog. „Nicht-Richtlinienverfahren" (also nicht Psychoanalyse, Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie, sondern z. B. Gesprächspsychotherapie) erhalten hatte, sollte bis zum 31. Dezember 1998 mindestens 500 Behandlungsstunden bzw. 250 h unter Supervision in einem Richtlinienverfahren nachweisen, um ermächtigt werden zu können, also einen vorübergehenden Abrechnungsstatus von der KV zu erhalten, an den eine fünfjährige Weiterqualifikation gebunden war.

Dem Berliner Landessozialgericht fiel hierbei ebenfalls nicht auf, dass der Gesetzgeber für den Fall, dass ein Antragsteller überhaupt nur einen Ermächtigungsantrag stellen konnte, weil er bislang nur über die o. g. „Sockelqualifikation" verfügte, und auch nicht - wegen angeblich zu weniger h im sog. „Zeitfenster" - bedarfsunabhängig ermächtigt werden konnte, auch nicht bedarfs-abhängig ermächtigt werden kann, weil das PsychThG diese Fallkonstellation nicht kennt.

Der nicht bedarfsunabhängig zu ermächtigende Antragsteller ist somit nach dieser Logik juristisch nicht existent und de facto, weil es ihn natürlich doch gibt, mit Berufsverbot belegt, weil er auch keine Eintragung in das Arztregister erhalten kann, die nur diejenigen Psychotherapeuten erhalten können, die über die „volle" Fachkunde in Richtlinienverfahren - wie die Delegationspsychotherapeuten - verfügen, denn keine Krankenkasse und auch nicht die Beihilfe finanzieren seine Leistungen (mehr).

Dem Berliner Landessozialgericht fiel hierbei ferner nicht auf, dass nirgendwo festgelegt ist, dass praktizierende Vertragsbehandler Mindest-Behandlungen durchzuführen bzw. abzurechnen haben, um als Teilnehmer an der Versorgung der gesetzlich Versicherten zu gelten. Lediglich bei psychologischen Psychotherapeuten er-findet man derartige Konditionen.

Sechs Monate nachdem das Berliner Landessozialgericht sich diese feine Regelung mit den 250 h pro Jahr ausgedacht hatte, machte der Sechste Senat des Bundessozialgerichts (BSG) seinen großen Wurf: Am 08. November 2000 fand es sich für befugt, auf seine Art den Teilnahmebegriff des PsychThG auslegen zu dürfen und behauptete, der Gesetzgeber habe ihn unbestimmt gelassen, damit ihn die Zulassungs- und Berufungsausschüsse und die Sozialgerichte - je nach „Bedarf" - auslegen könnten (B 6 KA 52/00 R).

Hierbei übertrifft sich das BSG noch selbst: In seiner Pressemitteilung vom 09. November 2000, also einen Tag nach den mündlichen Verhandlungen, äußert das BSG in Anlehnung an das SCHIRMER-Papier der KBV, eine Teilnahme im „Zeitfenster" sei - neben weiteren wichtigen Kriterien, wie, dass diese Behandlungsstunden in einem sog. „Richtlinien-Verfahren" durchgeführt worden sein mussten, was das Gesetz ebenfalls nicht verlangt - dann vorhanden gewesen, wenn der Antragsteller in einem Zeitraum von „sechs bis 12 Monaten 250 Behandlungsstunden" zu Lasten von gesetzlich Versicherten erbracht habe.

Also knapp zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des PsychThG und mehr als eineinhalb Jahre, nachdem die Zulassungsverfahren abgeschlossen sein sollten, kommt das BSG - im Gegensatz zu vielen Sozial- und Landessozialgerichten - daher und überrascht die Fachwelt damit, das SCHIRMER-Papier der Kassenärztlichen Bundesvereinigung enthielte (tendenziell) die zutreffende Auslegung des Teilnahmebegriffs, obwohl sich diese Auffassung im Gesetzgebungsverfahren explizit nicht durchgesetzt hatte und Gutachter wie Professor REDEKER am 03.11.1998 und Professor PLAGEMANN am 07.12.1998 dieser Auffassung aus verfassungsrechtlichen Gründen vehement widersprochen hatten.

Es versteht sich, dass sich das BSG hier auch gar nicht erst mit der Äußerung in der Bundestagsdrucksache auseinander setzt, wonach bedarfs-abhängig diejenigen Antragsteller zuzulassen seien, die „erst nach dem 24. Juni 1997 teilgenommen haben".

Diese nachträgliche völlig überraschende „Interpretation" des Zeitfenster-Begriffs durch Einführung einer Quantifizierung mit gesetzlichen Krankenkassen abgerechneter Richtlinien-Behandlungsstunden verstößt gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot: Der Bürger bzw. Adressat des Gesetzes muss bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes selbst entnehmen können, was ihn bei dessen Inkrafttreten erwartet und sich rechtzeitig darauf einstellen können. Mit einem derartigen „Überraschungsangriff" auf die Existenz durch diese durch das PsychThG nicht mehr gedeckte „Recht"sprechung des BSG konnte zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes im Sommer 1998 kein Psychotherapeut rechnen.

Das BSG setzt sich auch nicht mit der Frage auseinander, wie es sein kann, dass der Gesetzgeber sehr viele Sachverhalte in den Übergangsbestimmungen des PsychThG quantifizierte, nicht aber die „Teilnahme" im sog. „Zeitfenster", also - wenn der Gesetzgeber eine Quantifizierung gewollte hätte - eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitsgebots und des Bestimmtheitsgebotes durch den Gesetzgeber vorläge.

Im Februar 2001, also mehr als zwei Jahre nach Inkrafttreten des PsychThG, setzte das BSG seine „Zeitfenster"-Urteile ab und schreibt hier - widersprüchlich zu seiner oben zitierten Pressemitteilung vom 09. November 2000 -, dass an der Versorgung der gesetzlich Versicherten nur „teilgenommen" habe, wer 250 Behandlungsstunden in sechs Monaten nachweisen könne, also eine Verschärfung des KBV-Vorschlages des Herrn SCHIRMER und seiner eigenen Pressemitteilung.

Jetzt schnappt die Falle zu: Wer Mitte 2001 noch nicht rechtskräftig zugelassen oder ermächtigt ist, wird „geschlachtet": 250 h in sechs Monaten entsprechen einem Wochendurchschnitt von 11,6 Behandlungsstunden zu Lasten von gesetzlichen Krankenkassen. Wer den nicht nachweisen kann, darf umziehen bzw. im Falle des Antrages auf Ermächtigung seine Praxis schließen.

Inzwischen trifft es auch ermächtigte Kollegen, die auf Zulassung klagen und die seit mehr als 20 Jahren psychotherapeutisch berufstätig sind, im „Zeitfenster" aber z. B. „nur" 996 h nachweisen können (weil sie z. B. seinerzeit u. a. sehr viele Behandlungsstunden über BSHG abgerechnet haben), und nicht 1.500 h, in Richtlinienverfahren im sog. „Zeitfenster" nachweisen können, wie inzwischen gefordert, also das Dreifache der „Sockelqualifikation".

Dieser geradezu völlig groteske Widerspruch wird vom BSG jedoch nicht erkannt oder will dort wohl auch gar nicht zur Kenntnis genommen werden.

Hier haben wir ein glänzendes Beispiel für „flexibles" Recht: im sozialrechtlichen Bereich bzw. im Kassenarztsystem, das ein in sich geschlossenes System darstellt, in dem ganz offensichtlich weder das Psychotherapeutengesetz noch unsere Verfassung und erst recht nicht Europa-Recht eine entscheidende Bedeutung haben, ist alles möglich. Man lässt eine bestimmte Zahl von Antragstellern zu, dann ändert man die Rechtsprechung und macht „die Schotten dicht". Vorneweg der Präsident des BSG, Matthias von Wulffen, der in der Finanzierbarkeit der Kassenleistungen „eine Grenze von juristischer Qualität" erblickt (zit. n. FOCUS 14/2001, S. 96).

Natürlich zogen der eine und andere entsetzte Kollege vor das Bundesverfassungsgericht, doch hier ist die langjährige ehemalige Richterin des Bundessozialgerichts Renate Jaeger „zuständig", die „weiß", worauf es ankommt: Keine bedarfsunabhängigen Zulassungen (bzw. Ermächtigungen) mehr! Und dieses im Interesse des angeblichen „Gemeinwohlbelangs" „Finanzierbarkeit" und „Stabilität" des maroden Gesundheitssystems, dem die Grundrechte der Leistungserbringer mehr und mehr geopfert werden.

Die niedrige Behandlungsstundenzahl des ersten Beschwerdeführers (Niederlassung erst im letzten Quartal des „Zeitfensters" und hier lediglich – als Existenzgründer! – 40 Behandlungsstunden zu Lasten von GKVen) bezeichnete Renate Jaeger mit ihrer kleinen Kammer, die lediglich aus drei Verfassungsrichtern besteht, als „keine Lebensgrundlage" – auf die es lt. Gesetz bzw. Bundestagsdrucksache auch gar nicht ankommt! - und nahm seine Verfassungsbeschwerde gar nicht erst zur Entscheidung an.

Dieses bedeutet, dass der achtköpfige Senat des Bundesverfassungsgerichts - bis zum heutigen Tage - sich bislang nicht mit der Frage beschäftigt hat, ob in das Berufsausübungsrecht des Antragstellers, der im „Zeitfenster" bereits niedergelassen war, in sein Grundrecht, unverhältnismäßig eingegriffen wird, wenn ihm ein Umzug in einen nicht-gesperrten Bezirk zugemutet wird und, wie im Falle des zu Ermächtigenden, die Berufsausübung de facto gar nicht erfolgen kann.

Möglicherweise hätte der vollständige Senat des Bundesverfassungsgerichts anders als diese von Renate Jaeger geleitete Kammer entschieden.

Inzwischen wurde auch die Verfassungsbeschwerde einer Kollegin, die Antrag auf Ermächtigung gestellt hatte, nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 1508/03), nachdem zuvor das BSG mit Beschluss vom 11. Dezember 2002 – (B 6 KA 55/02 B) die Nichtzulassungsbeschwerde verwarf. Auch im Falle der Verfasserin wurde so verfahren und am 14. Januar 2004 ohne jegliche Begründung ihre Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Kollegin hat inzwischen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Hier wurde die Bundesrepublik bereits mehrfach in Fällen und von Steuerberaten und Rechtsanwälten verurteilt, weil sie sie durch Verweigerung bzw. Entziehung der Zulassung in ihrer Berufsausübung behinderten.

Völlig außer Acht ließen bislang z. B. die Berliner Sozialgerichte als „Hardliner", das BSG und auch das BVerfG, dass es die Kostenerstattungspsychotherapeuten in den Jahren des „Zeitfensters" nicht leicht hatten, von gesetzlichen Krankenkassen Kostenübernahmen zu erhalten. Zum einen gab es immer wieder Probleme mit Ärzten, von denen der Versicherte der Kasse eine „Notwendigkeitsbescheinigung" für eine Psychotherapie vorzulegen hatte.

Zum andern war am 23. Oktober 1996, also mitten im „Zeitfenster", das Urteil des LSG NW ergangen (L 11 Ka 19/95), wonach die Abrechnungssysteme der Techniker Krankenkasse mit dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. und der IKK/BKK mit dem Deutschen Psychotherapeutenverband e. V. ( B 6 KA 12/97) als rechtswidrig bezeichnet worden waren, wodurch die Erstattungspraxis der gesetzlichen Krankenkassen insgesamt stark eingeschränkt wurde. (Diese Urteile waren am 23. Mai 1997 durch einen Vergleich zwischen der KBV und den genannten Krankenkassen wieder aufgehoben worden (B 6 KA 15/97 R).

Hieraus folgte zwangsläufig, dass Kostenerstattungspsychotherapeuten - im Gegensatz zu den „Delegationspsychotherapeuten", die keinerlei Abrechnungsprobleme kannten - eher nur weniger Behandlungsstunden mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen konnten.

Diese Tatsachen dürften auch der Grund dafür gewesen sein, dass der Gesetzgeber seinerzeit die „Teilnahme" im „Zeitfenster" gerade nicht quantifizierte, obwohl dieses von der KBV verlangt worden war, weil es sonst einen Sturm der Entrüstung von Seiten der Erstattungspsychotherapeuten gegeben hätte.

Inzwischen wurde auch der Fall der o. g. Kollegin beim BVerfG durch Nichtannahmebeschluss ohne Begründung erledigt, die auf (bedarfsunabhängige) Ermächtigung geklagt hatte - und die tatsächlich vorübergehend durch gerichtliche Entscheidung bedarfsunabhängig ermächtigt war, was die KV aber zu keinem Zeitpunkt interessierte und die Abrechnungsgenehmigung verweigerte. Die KV wusste wohl bereits Anfang 2000, wie das BSG im November entscheiden würde.

Die seit vier Jahren approbierte Kollegin war am 11. Dezember 2002 vom BSG darauf verwiesen worden, sie möge „sich um eine bedarfsabhängige Zulassung bemühen", was damit gleich bedeutend ist, dass sie die Ausbildung noch einmal von vorne machen darf, denn sie wird ja auch nicht ins Arztregister eingetragen.

Die zu ermächtigende Kollegin verfügt nunmehr über keinerlei Abrechnungsmöglichkeit mit sämtlichen Krankenkassen mehr, weil das Gesetz die bedarfs-abhängige Ermächtigung nicht kennt und eine Eintragung ins Arztregister nicht erfolgt. Eine etwaige „Nachqualifikation" kann sie nicht finanzieren, weil sie über keine Einkünfte mehr verfügt.

So einfach liquidiert man über die „Auslegung" des „Teilnahme-Begriffs" des PsychThG „überzählige" Psychotherapeuten.

Die zugelassenen und ermächtigten Kollegen freut dieses vielleicht sogar, weil die gedeckelten schmalen Honorare nicht mit weiteren Vertragspsychotherapeuten geteilt werden müssen. Außerdem ist der Zulauf von Patienten größer, weil die Zahl der Anbieter geringer ist. So profitieren die Zugelassenen und Ermächtigten inzwischen von der „Entwicklung" der Rechtsprechung, auch wenn deren seinerzeitige Zulassung bzw. Ermächtigung, so die Berliner Psychotherapeutenkammer, „rechtsfehlerhaft" erfolgte und diese Kollegen „von einer anfänglich irrtümlichen rechtlichen Bewertung durch die Zulassungsgremien profitierten", weil sie nach einer „zu niedrigen Behandlungsstundenzahl" zugelassen oder ermächtigt wurden, wie es in einem Schreiben vom 01.04.2003 an die Verfasserin heißt (die Berliner Zulassungs- und Berufungsausschüsse hatten seinerzeit den Nachweis von 250 Behandlungsstunden im gesamten Dreijahreszeitraum verlangt, was einem Wochenstundendurchschnitt von 2 Behandlungsstunden entsprechen konnte, s. o.).