C. Storm-Knirsch, Wilhelmshöher Str. 24, 12161 Berlin (Friedenau), Tel.: 030 - 851 37 88, Mobil 0151 - 27 03 69 69, Fax 030 - 852 07 72, storm-knirsch@t-online.de, www.storm-knirsch.de

 

Reisebericht aus einer Bananenrepublik

Leicht gekürzt abgedruckt im PSYCHOTHERAPEUTEN FORUM 2/2001

 

Vor einigen Wochen hatte ich ein wenig Zeit und machte zwangsläufig Urlaub, weil ich als vom Zulassungsausschuß abgelehnte Psychotherapeutin keine gesetzlich Krankenversicherten mehr behandeln kann, denn die Krankenkassen bezahlen keine Kosten mehr für die von mir durchgeführte Psychotherapie trotz Widerspruchs meinerseits und anhängigen Klageverfahrens vor dem Sozialgericht.

Ich buchte über Last-Minute-Reisen einen Zweiwochen-Urlaub in eine Bananenrepublik. So ein herrliches Wetter, so ein wunderbarer Strand, so ein kristallklares, angenehmes Meer!

Doch ich habe dort auch eine sehr merkwürdige Beobachtung gemacht.

Auf einem Landausflug geriet ich in einen Stau. Die Polizei hatte etwa 100 Autos angehalten wegen zu schnellen Fahrens.

Zwischen den Autofahrern und der Polizei herrschte ein wildes Geschrei. Ich verstand kein Wort. Mit meinen kleinen Brocken Englisch gelang es mir schließlich, Folgendes heraus zu bekommen:

An der Straße war einige Kilometer zurück vor einigen Tagen ein Schild aufgestellt worden - dieses Schild habe ich auf der Rückfahrt auch tatsächlich gesehen -, auf dem zu lesen war:

"Hier gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung".

Auf wieviele km/h die Geschwindigkeit begrenzt war, stand allerdings nicht auf dem Schild.

Die Polizei war eifrig damit beschäftigt, die Autofahrer nach der von ihr gemessenen Geschwindigkeit in eine Rangfolge zu bringen. Sie ermittelte hierbei, daß etwa 60 Fahrer 60 - 80 km/h, etwa 20 Fahrer 50 - 60 km/h, etwa 10 Fahrer unter 50 km/h und etwa 10 Fahrer über 80 km/h gefahren waren.

Sodann ermittelte die Polizei mit Hilfe eines Computers die Einkommen der Autofahrer, wobei sie sich sowohl auf die Angaben der Fahrer selbst stützte, als auch per Datenbankabfrage die Einkommensteuerbescheide bei den jeweiligen Finanzämtern abrief.

Da die Regierung der Republik ein Sparprogramm verordnet und verkündet hatte, sie wolle das Volk zu mehr Eigenverantwortung erziehen, beriet die Polizei jetzt rasch mit Hilfe eines Computerprogramms, welchen Bedarf an Geldbußen sie heute verhängen würde, um zur Erneuerung der Republik an diesem Tag auf dieser Straße beizutragen und so ihrer staatstragenden Aufgabe nachzukommen.

Hierbei kam ein ziemlich hoher Betrag heraus, nämlich 1 Million US-Dollar.

Sodann errechnete und verkündete die Polizei, daß jeder, der schneller als 35,72 km/h gefahren war, ein Bußgeld zu bezahlen habe, und zwar für jeden km/h 100 US-Dollar.

Die Autofahrer wurden wütend; sie bedrohten die Polizei. Diese zog sogleich die Bajonette und rief das Militär zur Hilfe. Da sich die Landstraße in der Nähe einer Kaserne befand, waren nach kurzer Zeit etwa 50 Soldaten vor Ort.

Die Autofahrer schrien:

"Woher hätten wir wissen sollen, daß man hier nur 37 km/h fahren darf?!
Das stand auf dem Schild nicht drauf!
"

Darauf antwortete die Polizei: "Wir haben, als wir das Schild aufstellten, selber nicht gewußt, wie schnell man hier fahren darf. Aber heute wissen wir, daß wir 1 Million US-Dollar brauchen, und die holen wir uns jetzt von Euch!"

Darauf schrien einige Autofahrer, die Polizei sei "verrückt" und das ganze sei "Willkür". Darauf drohte die Polizei damit, die Autofahrer auch noch wegen Beleidigung der Staatsgewalt zu inhaftieren und durch die Justiz bestrafen zu lassen.

Manche schrien, sie hätten Termine und müßten weiterfahren, ihnen gingen wichtige Geschäfte durch die Lappen, aber die Polizei blieb hart.

Ein Autofahrer hat einem Polizisten sogar eine geklebt. Ihm wurden sofort Handschellen angelegt, und er wurde in ein Polizeiauto gesteckt.

Sodann verlangte die Polizei an Ort und Stelle die Zahlung der Bußgelder für die Geschwindigkeitsübertretung, wobei die Autofahrer sowohl in bar als auch mit Scheck bezahlen konnten.

Diejenigen Autofahrer, die bar bezahlten und zusätzlich nachweisen konnten, daß ein Verwandter von ihnen ein Angehöriger der Polizei war, durften sofort weiterfahren. Von denjenigen, die nur einen Scheck geben konnten, wurden sämtliche Personalien notiert, auch die Daten und Einkommen der Angehörigen. Bei der Ermittlung der Einkommensangaben der Verwandten wurden wieder per Computer die zuständigen Finanzämter der Verwandten abgefragt.

Diejenigen Autofahrer, die weder bar, noch mit Scheck bezahlen konnten - es war etwa die Hälfte -, wurden festgenommen und ins Stadtgefängnis gebracht.

Weil mich die Sache interessierte, habe ich letzte Woche einmal meinen Gastgeber in dem Hotel in der Bananenrepublik angerufen und gefragt, was aus der Angelegenheit geworden ist. Er erzählte mir - wenn ich das alles richtig verstanden habe -, daß von den 49 Inhaftierten 46 immer noch im Gefängnis säßen. Zwei habe man entlassen, weil sie Verwandte ersten Grades beim Militär hätten. Den anderen 47 habe man gesagt, sie könnten sich ja beschweren und den Rechtsweg beschreiten. Das könne zwar etwas länger dauern, aber so sei es nun einmal in einem bürokratischen Rechtsstaat.

Beschwert hätten sich 11. Die anderen würden nur herumschreien, das sei Willkür und Unrecht und sowas. Sie gingen pleite, wenn sie sich nicht um ihre Firmen kümmern könnten. Auch liefen ihnen die Frauen weg.

Einige würden überhaupt nichts mehr sagen und nur 'rumhängen. Einer wäre gestorben. Er soll sich aufgehängt haben, aber so genau wisse man das nicht, weil die Regierung einen Erlaß an die Presse herausgegeben habe, daß Selbstmorde nicht mehr öffentlich bekannt gegeben werden dürfen, weil das dem Ansehen des Rechtsstaates schade.

Der Minister soll auf eine Beschwerde des Bruders eines Inhaftierten, der Rechtsanwalt ist, nach fünf Wochen geantwortet haben, daß er sich nicht vorstellen könne, daß sich etwas Derartiges abgespielt habe. Zum andern sei es in das Ermessen der örtlichen Polizei gestellt, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Bedarf Geschwindigkeitsbegrenzungen vorzunehmen.

Auf die Beschwerde eines Inhaftierten beim zuständigen Polizeipräsidium, in der er Schadensersatzforderungen angedroht habe, sei ihm die Antwort erteilt worden, er möge sich gedulden, der Präsident weile im Moment im Ausland und sein Vertreter sei gerade zurück getreten. Außerdem würden wegen derzeitiger Umstrukturierungsmaßnahmen die Zuständigkeiten neu verteilt. Ferner sei das Grundgesetz zur Zeit nicht auffindbar. Das Schreiben soll mit der Belehrung geendet haben, daß Schadensersatzansprüche der Inhaftierten ausscheiden, weil das Parlament die Durchführungsverordnung zur Amtshaftung erst im Mai 2004 verabschieden werde.

Ferner wurden die Inhaftierten belehrt, sie hätten im übrigen bereits gewußt, bevor sie sich auf die Landstraße in der Nähe der Kaserne begeben hätten, daß hier gelegentlich Geschwindigkeitsbegrenzungen vorgenommen werden und man sich denen nur durch direkte Zahlung vor Ort entziehen kann. Also hätten sie Vorsorge treffen und ausreichend Valuta bei sich führen müssen. Wenn sie es nicht getan haben, zeuge dieses von einem Mangel an Kenntnissen über reale gesellschaftliche Gegebenheiten, und schon dafür sei eine Inhaftierung sinnvoll und notwendig, um hier ausreichend Zeit zu haben, über das eigene fehlerhafte Verhalten gründlich nachdenken und sich hierauf konzentrieren zu können.

Darlehn, um die Geldbuße zu bezahlen, konnten die Inhaftierten nicht aufnehmen, weil niemand jemandem, der im Gefängnis sitzt, etwas leihen wollte.

Rechtsanwälte mochten sich der Inhaftierten nicht annehmen, weil sie auch keine Vorschüsse bezahlen konnten.

Inzwischen habe das oberste Verwaltungsgericht der Republik in einem einstweiligen Anordnungsverfahren eines Inhaftierten, dessen Vater auch Rechtsanwalt ist, entschieden, dass die Inhaftierten, statt 100 US-Dollar pro übertretenen km/h 300 US-Dollar pro km/h zu bezahlen haben, andernfalls sie nicht aus der Haft entlassen werden könnten.

Auf den Hinweis eines Journalisten, daß die Existenzen der inhaftierten Kleinunternehmer gefährdet seien, soll die Pressestelle des Gerichts geantwortet haben, in dieser Gegend hier gäbe es sowieso zu viele am Existenzminimum herumkrepelnde Kreaturen, und es sei nicht so schlimm, wenn diejenigen, die kein Geld oder auch keine Schecks haben, ihre Firma dicht machen müssen. Davon hätten dann wieder die anderen 'was, und denen ging es ohnehin auch nicht so doll.

Pah, bin ich froh, dass ich nicht in einer Bananenrepublik lebe!

Querula Kohl-Haas